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Objekt gefertigt Juli 2015

Zitat aus „Deutschboden Eine teilnehmende Beobachtung“ von Moritz von Uslar | FISCHER Taschenbuch | 5. April 2012 | Seite 161-162, 320-321, 363


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“ … Aller Inhalt, Wert und Sinn des Reportertums bestand darin, dass die Reportage noch nicht zu Ende war. Es musste
weitergehen. Die Geschichte musste weitergehen. Es musste auch deshalb weitergehen, damit die Mickrigkeit, Unbrauchbarkeit, Sinnlosigkeit jeder einzelnen Notiz, Beobachtung, Aufnahme besser wegzustecken war. Nicht die einzelne Geschichte zählte, nur der Fluss, der Lauf, das Tempo, das von einer Geschichte zur nächsten entstand. Die einzelne Geschichte war immer nur so viel wert wie die Geschichte, die darauf folgte. So fand ja auch das Leben jedes einzelnen Menschen statt: Jedes Erlebnis war für sich genommen ein Witz – ein Sinn konnte einzig in der Hoffnung liegen, dass es irgendwie weiterging. Es war dies also, gerade in den düsteren Stunden, die ganze Arbeit des Reporters: Vorwärts. Weitermachen. Dranbleiben. Mitnotieren. Weiter so.

Bei meinen Jungs, die Raoul, Erle und Rampa hießen, war ich weit weniger sicher. Es war, als ob die Erinnerung an die DDR sie klüger,
kräftiger, breiter gemacht hatte, aber natürlich auch unbeweglicher. Ich glaubte, sie quer in der Gegenwart drinhängen zu sehen. Auf eine Art vertrug die Gegenwart sich nicht mit ihnen. Ich sah sie öfter zögern. Ich sah sie sich immer wieder distanzieren, auf Abstand
gehen. Sie warteten ab, und diesen Sommer, den Rest des Jahres und die kommenden Jahre wollten sie, vor allem, weiter abwarten.

… welche Bedeutung die Tätowierungen für Raoul, Eric, Rampa und die anderen Jungs hatten: Sie waren ihr Ausdruck von Schönheit, ein Beharren auf Schönheit und Würde, die es in ihrem Alltag nicht gab. Und tatsächlich, auf Erics Hals konnte ich mehr Lebendigkeit, mehr Würde, Trotz und Kraft erkennen – ein großartiges Anherrschen der Welt und ihrer Grenzen – als in den Gesichtern … der meisten erfolgreichen Großstadtmenschen, die ich kannte …“